Ein Moment und alles ist anders

Veränderungen im Leben sind eine feine Sache, solange sie halbwegs geplant und vor allem auch gewollt sind. Es gibt aber eben auch Momente die in das Leben eingreifen und tiefe Spuren hinterlassen. Momente, die so nicht gewollt sind. So ein Moment jährt sich heute zum 25sten Mal.

Kiel, 8.11.1994 kurz nach 18 Uhr. Ich habe meine damalige Verlobte bei Lubinus besucht, steige auf meine TDM 850 und biege auf den Steenbeker Weg Richtung Eckernförder Straße ein. Es hat heute etwas geregnet, die Straße schimmert nass. Morgen hole ich meine Zukünftige aus der Klinik ab, den Vormittag habe ich mir frei genommen.

Es ist dunkel, die Straßenlaternen werfen ihre Lichtkegel auf die Fahrbahn, das Helmvisier ist leicht geöffnet. Frische Luft dringt in den Helm, ich freue mich aufs Abendessen und die wohlige Wärme unseres Zuhauses. Ja, Motorradfahren in der kalten Jahreszeit ist nicht immer toll. Wenigstens sind die Temperaturen noch im Plus, der Winter kommt ja erst. Unter mir zieht die nasse Straße dahin, wie jeden Abend in den letzten Wochen wenn ich nach der Arbeit meinen Zwischenstop bei Lubinus eingelegt habe.

Kein Risiko eingehen.

Die Ampel an der B76 zeigt rot, ich lasse die Yamaha ausrollen und komme zum Stehen. Der Paralleltwin lässt die Maschine ganz leicht vibrieren. Nicht unangenehm. Einfach ein Lebenszeichen, darauf wartend das es weitergehen kann. Die Ampel wird grün. Kupplung ziehen, ersten Gang nach unten drücken, Kupplung kommen lassen und sanft Gas geben ist eins. Kuppeln, zweiten Gang nach oben, nochmal das Ganze, dritter Gang. Die Tachonadel bleibt bei 50 stehen. Gemütlich nach Hause fahren, kein Risiko eingehen. Die nächsten Ampeln folgen ihrem Schaltschema und wechseln kurz bevor ich abbremsen müsste auf grün. So gleitet die TDM gleichmäßig voran und ich erreiche die Kreuzung Steenbeker Weg/Eckernförder Straße. Hell erleuchtet, geradeaus dahinter ist es schon wieder deutlich dunkler. Noch ein paar Kilometer, dann bin ich daheim.

Er biegt ab.

Da ist ein entgegenkommender weißer Golf. Links blinkend, der will also Richtung Suchsdorf. Kein Problem, er kann ja hinter mir abbiegen. Könnte er. Tut er aber nicht. Er biegt einfach ab. Das Hirn läuft sofort auf Hochtouren, ermittelt Möglichkeiten. Ihn auf seiner rechten Seite passieren? Da ist der Gegenverkehr, Frontalcrash sehr wahrscheinlich. Einfach nur bremsen? Reicht nicht, auch drohender Frontalzusammenstoß. Also auf seiner linken Seite passieren und hoffen, dass er die Situation richtig bewertet. Ausweichen einleiten, Maschine nach rechts drücken. Zu spät. Ich höre wie der Golf meine TDM trifft. Mein Gehirn fährt einfach weiter gerade aus. Wie in den letzten Wochen.

Dunkelheit. Stille.

Ich wache wieder auf. Wieso liege ich hier? Und was machen die Menschen um mich herum. Ich will aufstehen. „Liegen bleiben, wir wissen nicht wie schwer Sie verletzt sind. Wir nehmen Ihnen jetzt Ihren Helm ab!“ meint ein Sanitäter. Höflich, aber bestimmt. Das Zeitgefühl ist dahin, ehe ich mich versehe liege ich im RTW in Richtung Uniklinik.

Was folgten waren insgesamt einige Wochen Krankenhaus mit vier Operationen. Was blieb ist ein kaputtes Fußgelenk und der damit einhergehende Einfluss auf meine weitere Lebensgestaltung. Es war nur dieser eine Moment der meinem Leben eine ganz neue Richtung gegeben und vieles verändert hat. Weil jemand einen Fehler gemacht hat, weil jemand eine Situation falsch eingeschätzt hat. Was jeden Tage zigtausende Male passiert.

Glück.

Ich habe Glück gehabt. Sehr großes Glück sogar. Dafür bin ich dankbar. Was im Kopf geblieben ist, das ist der Filmriss. Mein einziger im Leben bislang und wenn es nach mir geht darf das auch so bleiben. Es bleibt auch die Erinnerung an diese Momente der Hilflosigkeit, das Gefühl die Kontrolle über sein Leben zu verlieren. Auf der anderen Seite bleibt aber auch die Erinnerung an die Menschen die da waren und sich um alles gekümmert. Auch das gehört zum Glück dazu.

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